Samstag, 28. Dezember 2013

Gedichte von Frauen

Ingeborg Bachmann (1926-1973) 

Alle Tage  
Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt.
Das Unerhörte
ist alltäglich geworden.
Der Held
bleibt den Kämpfen fern.
Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.
Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.
Er wird verliehen
für die Flucht von den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.

Christine Busta (1915-1987)

Vom Altern
Der Liebe wird alles wichtig und lieb:
eine Schattenmulde in der Wange,
das Runzelgeflecht ums Auge,
eine Kindheitsnarbe unter den Zehen,
ein verborgener Makel der Haut,
eine sichtbarer werdende Ader
und die kahle Stelle im Haar.
Jeder Verlust wird auch Gewinn
und mehrt die Erinnerung.
Treuer als Lust macht Zärtlichkeit,
der Schmerz um Vergängliches erneuert.
Aus den Filtern behutsamer Trauer
bergen wir die Schönheit, die bleibt.
Annette von Droste-Hülshoff, 1797-1848

Letzte Worte
Geliebte, wenn mein Geist geschieden,
So weint mir keine Träne nach;
Denn, wo ich weile, dort ist Frieden,
Dort leuchtet mir ein ewger Tag!
Wo aller Erdengram verschwunden,
Soll euer Bild mir nicht vergehn,
Und Linderung für eure Wunden,
Für euern Schmerz will ich erflehn.
Weht nächtlich seine Seraphsflügel
Der Friede übers Weltenreich,
So denkt nicht mehr an meinen Hügel,
Denn von den Sternen grüss ich Euch!
Die beschränkte Frau
Ein Krämer hatte eine Frau,
die war ihm schier zu sanft und milde,
ihr Haar zu licht, ihr Aug zu blau,
zu gleich ihr Blick dem Mondenschilde;
wenn er sie sah so still und sacht
im Hause gleiten wie ein Schemen,
dann faßt es ihn wie böse Macht,
er mußte sich zusammennehmen.
Vor allem macht ihm Überdruß
ein Wort, das sie an alles knüpfte,
das freilich in der Rede Fluß
gedankenlos dem Mund entschlüpfte:
»In Gottes Namen,« sprach sie dann,
wenn schwere Prüfungsstunden kamen,
und wenn zu Weine ging ihr Mann,
dann sprach sie auch: »In Gottes Namen.«
Das schien ihm lächerlich und dumm,
mitunter frevelhaft vermessen;
oft schalt er, und sie weinte drum
und hat es immer doch vergessen.
Gewöhnung war es früher Zeit
und klösterlich verlebter Jugend;
so war es keine Sündlichkeit
und war auch eben keine Tugend.
Ein Sprichwort sagt: Wem gar nichts fehlt,
den ärgert an der Wand die Fliege;
so hat dies Wort ihn mehr gequält
als andre Hinterlist und Lüge.
Und sprach sie sanft: »Es paßte schlecht!«
durch Demut seinen Groll zu zähmen,
so schwur er, übel oder recht
werd es ihn ärgern und beschämen.
Ein Blütenhag war seine Lust.
Einst sah die Frau ihn sinnend stehen
und ganz versunken, unbewußt,
so Zweig an Zweig vom Strauche drehen.
»In Gottes Namen!« rief sie, »Mann,
du ruinierst den ganzen Hagen!«
Der Gatte sah sie grimmig an,
fürwahr, fast hätt er sie geschlagen.
Doch wer da Unglück sucht und Reu,
dem werden sie entgegen eilen;
der Handel ist ein zart Gebäu
und ruht gar sehr auf fremden Säulen:
Ein Freund falliert, ein Schuldner flieht,
ein Gläubger will sich nicht gedulden,
und eh ein halbes Jahr verzieht,
weiß unser Krämer sich in Schulden.
Die Gattin hat ihn oft gesehn
gedankenvoll im Sande waten,
am Kontobuche seufzend stehn,
und hat ihn endlich auch erraten;
sie öffnet heimlich ihren Schrein,
langt aus verborgner Fächer Grube,
dann, leise wie der Mondenschein,
schlüpft sie in ihres Mannes Stube.
Der saß, die schwere Stirn gestützt,
und rauchte fort am kalten Rohre:
»Karl!« drang ein scheues Flüstern itzt,
und wieder »Karl!« zu seinem Ohre;
sie stand vor ihm, wie Blut so rot,
als gält es eine Schuld gestehen.
»Karl,« sprach sie, »wenn uns Unheil droht,
ists denn unmöglich, ihm entgehen?«
Drauf reicht sie aus der Schürze dar
ein Säckchen, stramm und schwer zu tragen,
drin alles, was sie achtzehn Jahr
erspart am eigenen Behagen.
Er sah sie an mit raschem Blick
und zählte, zählte nun aufs neue,
dann sprach er seufzend: »Mein Geschick
ist zu verwirrt – dies langt wie Spreue!«
Sie bot ein Blatt und wandt sich um,
erzitternd, glüh gleich der Granate;
es war ihr kleines Eigentum,
das Erbteil einer frommen Pate.
»Nein,« sprach der Mann, »das soll nicht sein!«
Und klopfte freundlich ihre Wangen.
Dann warf er einen Blick hinein
und sagte dumpf: »Schier möcht es langen.«
Nun nahm sie aus der Schürze Grund
all ihre armen Herrlichkeiten,
Teelöffelchen, Dukaten rund,
was ihr geschenkt von Kindeszeiten.
Sie gab es mit so freudgem Zug!
Doch wars, als ob ihr Mund sich regte,
als sie zuletzt aufs Kontobuch
der selgen Mutter Trauring legte.
»Fast langt es,« sprach gerührt der Mann,
»und dennoch kann es schmählich enden;
willst du dein Leben dann fortan,
geplündert, fristen mit den Händen?«
Sie sah ihn an, – nur Liebe weiß
an liebem Blicke so zu hangen -
»In Gottes Namen!« sprach sie leis,
und weinend hielt er sie umfangen.

 Blaga Dimitrova

Gras
Nicht fürchte ich,
daß man mich niederträte.
Gras, tritt man es nieder,
wird ein Weg.

Hilde Domin (*1912)

Rufe nicht
Lege den Finger auf den Mund.
Rufe nicht.
Bleibe stehen am Wegrand.
Vielleicht solltest du dich hinlegen
in den Staub.
Dann siehst du in den Himmel
und bist eins mit der Straße,
und wer sich umdreht nach dir
kann gehen als lasse er niemand zurück.
Es geht sich leichter fort,
wenn du liegst als wenn du stehst,
wenn du schweigst als wenn du rufst.
Sieh die Wolken ziehn.
Sei bescheiden, halte nichts fest.
Sie lösen sich auf.
Auch du bist sehr leicht.
Auch du wirst nicht dauern.
Es lohnt sich nicht Angst zu haben
vor Verlassenheit,
wenn schon der Wind steigt
der die Wolke verweht.

Vera Ferra-Mikura

Zum Tag des Kirschbaumes
Ich möchte einen Kirschbaum haben,
der jedes Jahr zur Frühlingszeit
mir Blüten in das Zimmer schneit.
Drum habe ich dich eingegraben!
Seit sieben Wochen gieße ich
dir Wasser auf den harten Kopf
Und trage ganz behutsam dich
Zur Sonne hin im Blumentopf.
Was sagst du da? Das hör ich gern!
Du warst in Omas Kirschenkuchen?
Dann muß ichs wohl mit einem Kern,
der nicht im Bratrohr war, versuchen!

Ida von Hahn- Hahn (1805 – 1880)

Die Tränen
Seid ihr immer da, ihr Tränen,
treu der Freude, treu dem Schmerz.
Heut gelockt von Liebestönen,
Morgen schmelzend Hasses Erz? –
Oder muß nur ich so weinen,
weil mein Herz so töricht ist,
daß es um den einzig Einen
Alles Glück der Welt vergißt? –
Tränen, die ins Meer versinken,
Also spricht der Sage Mund,
Werden einst als Perlen blinken
Auf dem dunklen Wellengrund.
Gram wird einst sich mild verklären
Überm finstern Tal der Zeit,
Und so fließt denn meine Zähren,
Fließt ins Meer der Ewigkeit!

Emmy Hennings (1885-1948)

An die Scheiben schlägt der Regen
An die Scheiben schlägt der Regen.
Eine Blume leuchtet rot.
Kühle Luft weht mir entgegen.
Wach ich, oder bin ich tot?
Eine Welt liegt weit, ganz weit,
Eine Uhr schlägt langsam vier.
Und ich weiß von keiner Zeit,
In die Arme fall ich dir …

Ingibjörg Haraldsdottir (*1942)

Verzweiflung
Tief unten in der Erde
nagt sie an den Wurzeln
langsam aber zielbewußt
bis eines Tages
– ich weiß daß er kommt –
sie mich mittendurch genagt hat
und ein Teil von mir
rast wie von Sinnen
auf und davon
verschwindet durchs Küchenfenster
der Rest bleibt zurück
und macht den Abwasch zu ende.

Ricarda Huch (1864 – 1947)

Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen
Sich tiefer und tiefer ins Herz hinein,
Und während Tage und Jahre verstreichen,
Werden sie Stein.
Du sprichst und lachst, wie wenn nichts wäre,
Sie schreien zerronnen wie Schaum.
Doch du spürst ihre lastende Schwere
Bis in den Traum.
Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle
Die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle,
Da blüht nichts mehr.

Hildegard Knef

Herbst
Die Tauben sitzen schwer wie Steine
Der Baum im Hof verliert Gewicht
Ein alter Mann vertritt die Beine
Wird Herbst da draußen,
Wie ich meine
Zwölf Bänke stehn und sind
vergessen
Ein Tulpenbeet hat nichts zu tun
Ein Sonnenstrahl grüsst sehr
gemessen,
Den Herbst da draußen
Und in mir

Isolde Kurz (1853- 1944)

Nein, nicht vor mir im Staube knien
Nein, nicht vor mir im Staube knien!
Nicht mir im Arm wie Rohr zerbrechen!
Ist erst der Stunde Rausch dahin,
Ich weiß, du wirst es an mir rächen.
Jetzt ist dein Aug‘ von Tränen naß,
Doch manchmal blinkt’s wie Mördereisen.
In deiner Liebe grollt der Haß
Und droht mich künftig zu zerreißen.
Wo ist der Held, der frei vereint
Mit mir auf Lebenshöhen stiege?
Der tröstet, wenn das Herz mir weint,
Und mit mir lächelt, wenn ich siege?
Der nicht Gebieter ist noch Knecht,
Der fühlt wie stille Wunden brennen,
Der schonend nach dem zärtern Recht
Sich neigt in willigem Erkennen?
Wo ist der Held? Es tönt von fern
Wie Gruß von ihm an meine Ohren.
Der Held, der meines Lebens Stern,
Wird erst nach meinem Tod geboren.

Gisela Pape

Nun weiß ich,
wozu ich zwanzig Sommer das Licht auf mir
empfangen habe und ich die Blume
auf den Feldern schneiden durfte.
Warum, sagte ich mir an den schönsten Tagen,
dieses wunderbare Geschenk der warmen Sonne und
des frischen Grases?
Gleich dem blauen
Büschel der Trauben durchfuhr mich das Licht
um der Süßigkeit willen, die ich hergeben würde.
Dieses, das sich auf meinem Grund
Tropfen um Tropfen aus meinen Adern bildet,
dieses war mein Wein.
Für dieses
betete ich, um im Namen Gottes meine Erde abzugeben,
aus der er entstehen würde.
Und wenn ich mit zitternden Pulsen
einen Vers las für es, verbrannte mich die Schönheit
wie feurige Glut, auf dass es
aus meinem Fleisch
sein unerlöschliches Glühen empfange.

Frida Schanz

Der kleine Nachtwächter
Hört, ihr Leute, und laßt euch sagen:
Das Jahr, das alte, hat ausgeschlagen!
Die Glocken läuten von nah und fern,
Glück und Segen, ihr werten Herrn!
Von ganzem Herzen in Gottes Namen
Heil und Freud euch, ihr lieben Damen!
Frieden im Reich! Ruhe im Städtchen!
Myrten und Rosen den schönen Mädchen!
Gesundheit dem Alter! Ruhe dem Leid!
Frohe Herzen und frohe Zeit!
Sonne am Himmel! Segen auf Eden!
Was noch nicht gut war, mög besser werden!
Was euch beglückt, mög bleiben, wies war!
Gott walt es, ihr Leute! Prosit Neujahr!

Else Lasker-Schüler (1869-1945)

Mein blaues Klavier
Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
Und kenne doch keine Note.
Es steht im Dunkel der Kellertür;
Seitdem die Welt verrohte.
Es spielen Sternenhände vier
– Die Mondfrau sang im Boote -
Nun tanzen die Ratten im Geklirr.
Zerbrochen ist die Klaviatür…
Ich beweine die blaue Tote.
Ach liebe Engel öffnet mir
– Ich aß vom bitteren Brote -
Mir lebend schon die Himmelstür -
Auch wider dem Verbote.
Ein alter Tibetteppich
Deine Seele, die die meine liebet,
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet.
Strahl in Strahl, verliebte Farben,
Sterne, die sich himmellang umwarben.
Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit,
Maschentausendabertausendweit.
Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron,
Wie lange küßt dein Mund den meinen wohl
Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon?

Paula Ludwig (1900-1974)

Immer wenn du zurückkommst
Immer wenn du zurückkommst
ist mirs
als sähe ich dich zum ersten male:
Silbern stäubt es aus meiner Seele
wie aus den Weidenkätzchen
wenn der Frühlingswind
sie zum ersten male berührt.

Eva Rechlin
Wir wären nie gewaschen
Wir wären nie gewaschen
und meistens nicht gekämmt,
die Strümpfe hätten Löcher
und schmutzig wär das Hemd,
wir äßen Fisch mit Honig
und Blumenkohl mit Zimt,
wenn du nicht täglich sorgtest,
dass alles klappt und stimmt.
Wir hätten nasse Füße
und Zähne schwarz wie Ruß
und bis zu beiden Ohren
die Haut voll Pflaumenmus.
Wir könnten auch nicht schlafen,
wenn du nicht noch mal kämst
und uns, bevor wir träumen,
in deine Arme nähmst.
Und trotzdem! Sind wir alle
auch manchmal eine Last:
Was wärst du ohne Kinder?
Sei froh, dass du uns hast.

Regina Ullmann (1884-1961)

Schönheit
Du bist vollkommen, doch dir fehlt das eine,
daß du schon alles hast, was dir gebricht!
Nicht wie die Kinder, die zum Feste eilen
und im Dahingehn schon den Schmuck verteilen,
den wir für sie gehegt im Sonnenlicht;
du bist wie Steine ohne eignes Licht!

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